Verstörende Diskussion um den Tod eines 16-jährigen in Dortmund

Wilfried Albishausen Samstag, 27. August 2022 von Wilfried Albishausen

Eine rechtliche Einordnung

Ja, es wird objektiv ermittelt!

27.08.2022 - Nach dem Tod eines 16-jährigen Senegalesen in Dortmund reißt die Diskussion um die Schüsse aus einer Maschinenpistole durch die Polizei nicht ab. Das ist grundsätzlich in keiner Weise zu kritisieren, allein die Art und Weise geprägt von Vorurteilen und mangelndem Vertrauen in die Polizei ist nahezu unerträglich. Dabei spielen eine Minderheit in den sozialen Netzwerken und eine Voreingenommenheit bestimmter Medien eine nicht unerhebliche Rolle.

So unterstellte Monitor geschickt in eine Frage verpackt, dass die Polizei in Dortmund vielleicht anders gehandelt hätte, wenn es nicht ein Senegalese gewesen wäre, sondern ein Mensch mit weißer Hautfarbe. Und natürlich hüpften die üblichen Verdächtigen in Sachen "struktureller Rassismus in der Polizei" auf diese durch nichts, aber auch gar nichts gerechtfertigte Fragestellung.

Daraus folgend wurde die Frage nach "objektiver Ermittlung" des Vorfalls in den öffentlichen Raum gestellt. Können Polizeibehörden gegen Polizisten anderer Behörden überhaupt objektiv ermitteln? Und , oh Wunder, wurde die Antwort bei etlichen Medien gleich mitgeliefert: Nein, können sie nicht, wir brauchen dringend eine unabhängige Stelle, einen Beauftragten, der Zugang zu allen Unterlagen, Zeugen, Beteiligte und Daten haben muss, um dann ein "objektives" Untersuchungsergebnis vorzulegen. Wem eigentlich? Den Medien, den Kritikern, der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht?

Damit hätten wir dann neben der Staatsanwaltschaft eine weitere "Ermittlungsinstanz", die neben der Strafprozessordnung agiert?

Wer die Objektivität und Neutralität bei Ermittlungen einer Polizeibehörde anzweifelt, verfügt über wenig Rechtskenntnisse, die sich auch nicht rechtlich geschulte Menschen aneignen können. Bei Journalisten sollte das eine der Voraussetzungen sein, bevor man eine breite Öffentlichkeit mit Halbheiten mehr als grob fahrlässig in die Irre führt.

Nach § 159 Strafprozessordnung (Anzeigepflicht bei Leichenfund und Verdacht auf unnatürlichen Tod) sind Polizei und Gemeindebehörden verpflichtet, sofort die zuständige Staatsanwaltschaft zu unterrichten! Warum wohl? Ich denke, dass jedem klar sein dürfte, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur allgemein für die Sachaufklärung von Straftaten (§ 160 StPO), besonders aber bei "unklaren" Todesfällen zuständig ist.

§ 159 StPO (Anzeigepflicht bei Leichenfund und Verdacht auf unnatürlichen Tod)

(1) Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an das Amtsgericht verpflichtet.

(2) Zur Bestattung ist die schriftliche Genehmigung der Staatsanwaltschaft erforderlich.

§ 160 StPO (Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung)

(1) Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

(2) Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

Die Beteiligung der Polizei an den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergibt sich aus § 161 StPO. Sie kann die Ermittlungen selbst oder durch die Polizei durchführen lassen. Allein aus dieser Vorschrift und aus dem § 163 StPO wird überdeutlich, dass die Polizei, die Kriminalpolizei eben keine alleinige Ermittlungskompetenz in Strafverfahren geschweige denn in Todesermittlungsverfahren hat.

In Fällen der Massenkriminalität ermittelt die Kriminalpolizei anfänglich ohne eine direkte Beteiligung der Staatsanwaltschaft, muss den jeweilig ermittelten Sachverhalt aber nach Abschluss der Ermittlungen komplett an die Staatsanwaltschaft abgeben. Komplett bedeutet inklusive aller belastenden und entlastenden Beweismittel.

In allen anderen Fällen erfolgen die Ermittlungen in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft. In Fällen wie zum Tod des Senegalesen führt die Staatsanwaltschaft u. a. auch Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten durch.

Um es also mal salopp auszudrücken, die Staatsanwaltschaft hat also immer den "Hut" auf.

§ 161 StPO (Allgemeine Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft)

(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Falle befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.

§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren)

(1) Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Zu diesem Zweck sind sie befugt, alle Behörden um Auskunft zu ersuchen, bei Gefahr im Verzug auch, die Auskunft zu verlangen, sowie Ermittlungen jeder Art vorzunehmen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln.

(2) Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes übersenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Staatsanwaltschaft. Erscheint die schleunige Vornahme richterlicher Untersuchungshandlungen erforderlich, so kann die Übersendung unmittelbar an das Amtsgericht erfolgen.

Im § 162 StPO sind die Erfordernisse, Voraussetzungen und Bedingungen bei der Anordnung von Durchsuchungen, vorläufigen freiheitsentziehenden Maßnahmen wie auch bei der Leichenöffnung (Obduktion) geregelt. Hier spielt dann auch der Ermittlungsrichter ein bedeutende Rolle und ist damit ebenfalls in das vor Anklageerhebung oder Einstellung laufende Ermittlungsverfahren eingebunden. Also eine weitere Instanz mit Blick auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

Der § 87 StPO (Leichenschau/Leichenöffnung) eröffnet im Absatz 2 der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit an der Obduktion teilzunehmen. Was hier als "kann" beschrieben ist, ist allerdings gängige Praxis. An nahezu allen Obduktionen nimmt ein Vertreter der Staatsanwaltschaft teil.

§ 162 StPO (Ermittlungsrichter)

(1) Erachtet die Staatsanwaltschaft die Vornahme einer gerichtlichen Untersuchungshandlung für erforderlich, so stellt sie ihre Anträge vor Erhebung der öffentlichen Klage bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk sie oder ihre den Antrag stellende Zweigstelle ihren Sitz hat. Hält sie daneben den Erlass eines Haft- oder Unterbringungsbefehls für erforderlich, so kann sie, unbeschadet der §§ 125, 126a, auch einen solchen Antrag bei dem in Satz 1 bezeichneten Gericht stellen. Für gerichtliche Vernehmungen und Augenscheinnahmen ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk diese Untersuchungshandlungen vorzunehmen sind, wenn die Staatsanwaltschaft dies zur Beschleunigung des Verfahrens oder zur Vermeidung von Belastungen Betroffener dort beantragt.

(2) Das Gericht hat zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist.

§ 87 StPO (Leichenschau, Leichenöffnung, Ausgrabung der Leiche)

(1) Die Leichenschau wird von der Staatsanwaltschaft, auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch vom Richter, unter Zuziehung eines Arztes vorgenommen. Ein Arzt wird nicht zugezogen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts offensichtlich entbehrlich ist.

(2) Die Leichenöffnung wird von zwei Ärzten vorgenommen. Einer der Ärzte muss Gerichtsarzt oder Leiter eines öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen Fachkenntnissen sein. Dem Arzt, welcher den Verstorbenen in der dem Tod unmittelbar vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Er kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung beizuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben. Die Staatsanwaltschaft kann an der Leichenöffnung teilnehmen. Auf ihren Antrag findet die Leichenöffnung im Beisein des Richters statt.

Absatz 3 und 4 regeln im Weiteren die Voraussetzungen und Handlungen bei Exhumierungen.

Fazit: Wer diesen Fall zum Anlass nimmt, die Objektivität der Ermittlungen in Zweifel zu ziehen, schürt mehr als grob fahrlässig Mistrauen in die Strafverfolgungsbehörden unseres Rechtsstaates. Wer die rechtlichen Vorgänge um den Tod des 16-jährigen Senegalesen sachlich beurteilen möchte, kann das tun, wer damit an die Öffentlichkeit geht, muss das tun.

Das gilt für Politiker, Journalisten und Kriminologen ganz besonders. Das darf man wohl von sich selbst gerne als Experten bezeichnete Kritiker erwarten, oder?

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